Pionier der Nachhaltigkeitswende: Das Fraunhofer Spin-off TECNARO produziert die Kunststoffe der Zukunft

Was wäre, wenn die gigantischen Plastikmüllteppiche, die inzwischen hunderte von Quadratkilometern Ozeanfläche bedecken, sich rückstandsfrei im Meerwasser auflösen würden? Wenn Plastik CO2 speichert, statt es bei der Verbrennung freizusetzen, und keine fossilen Rohstoffe mehr benötigt? Was wie eine grüne Träumerei klingt, ist mit den Biopolymeren der Fraunhofer Ausgründung TECNARO GmbH heute schon möglich. Das Fraunhofer Spin-off trat vor rund 26 Jahren an, um Kunststoffe neu zu erfinden: Basierend auf nachwachsenden Rohstoffen, biologisch abbaubar und qualitativ hochwertig. Heute ist die Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie ICT ein weltweit aktives mittelständisches Unternehmen, das mit Erfindergeist einzigartigem Know-how die Transformation der Kunststoffindustrie vorantreibt.

© TECNARO
v.l.n.r. Helmut Nägele, Jürgen Pfitzer, Gründer TECNARO GmbH

Erdölbasierte Kunststoffe sind unverzichtbare Materialien in nahezu allen modernen Industrien. Rund 400 Millionen Tonnen einer Vielzahl unterschiedlicher Kunststoffe werden jährlich weltweit produziert – Tendenz weiter steigend (Stand: 2022). Die wenigsten können auf natürliche Weise abgebaut oder vollständig recycelt werden. Sie infiltrieren in Form von Mikroplastik Nahrungsketten und möglicherweise sogar tierisches und pflanzliches Erbgut – mit derzeit noch wenig erforschten Folgen. Gleichzeitig wäre die moderne Medizin, die heutige Landwirtschaft, ein effizienter Bausektor oder die Logistik der globalen Wirtschaft ohne Kunststoffe gar nicht möglich. Die Weltwirtschaft ist von Kunststoffen ebenso abhängig, wie vom Öl und ihr Ersatz durch ökologisch verträgliche Alternativen bedeutet eine globale Transformation.

Der (Kunst-)Stoff, aus dem die Träume sind: Nachhaltige Biopolymere

TECNARO entwickelt und produziert Biokunststoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe. Aus dem Reallabor leidenschaftlicher Ingenieure ist inzwischen ein weltweit anerkannter Technologieführer geworden, der in Deutschland Bio-Kunststoff-Granulate im industriellen Maßstab herstellt und weltweit vermarktet. 

Der einstige Nischenanbieter für Spezialkunststoffe in der Land- und Forstwirtschaft versorgt heute Kunden aus der Automobil-, Solar-, Bau-, Verpackungs-, Möbel-, Modeindustrie und vielen weiteren mehr. Auch bei den Verarbeitungsverfahren haben sich die Innovatoren aus dem schwäbischen Ilsfeld vom Spezialisten zum Systemanbieter weiterentwickelt und bieten nachhaltige Granulate für alle wesentlichen Verarbeitungsverfahren an. Die Grundstoffe für die Biopolymere sind in der Regel Abfälle aus der bestehenden Industrieproduktion und müssen nicht extra gewonnen werden, beispielswiese Lignin, welches als Nebenprodukt bei der Papierherstellung anfällt. Auf diese Weise schafft TECNARO nicht nur ökologisch und gesundheitlich unbedenkliche Alternativen, sondern ermöglicht zuliefernden und verarbeitenden Unternehmen rückstandsfreie, geschlossene Stoffkreisläufe im Sinne der Circular Economy.

 

Wenn das Innovator‘s Dilemma zur Marktchance wird

Disruptive Innovationen sind ihrer Zeit voraus: Sie stellen nicht nur bestehende Arbeitsweisen, Produkte und Anwendungen in Frage, sondern auch Märkte und Geschäftskonzepte. Für TECNARO bedeutete dies in den Anfangsjahren, dass weder eine Kaufbereitschaft bei potenziellen Kunden vorhanden war, noch die Möglichkeit, konkurrenzfähige Preise für Massenprodukte anzubieten oder Investoren für weitgehend unerforschte Verfahren und Materialien zu gewinnen. Nicht einmal Prüfverfahren und Kenngrößen für behördliche Genehmigungen existierten, sodass sich Zulassungen für Kunststoffe ohne Erdöl teils über Jahre hinzogen. Expertinnen und Experten der Fraunhofer-Gesellschaft begleiteten das Unternehmen gerade in dieser kritischen Phase mit betriebswirtschaftlicher und juristischer Beratung, Kontakten und kontinuierlichem Dialog mit politischen Gremien.  
TECNARO startete als Exot, nicht selten belächelt für den Idealismus und die kühne Vision, setzte sich aber über die Jahre mit Konsequenz und großem persönlichem Einsatz der Mitarbeitenden auch wirtschaftlich in immer mehr Nischen durch. Heute verfügt das Spin-off über einen Erfahrungsschatz und eine Expertise, die dem Unternehmen mit über 50 Mitarbeitenden und einem globalen Netzwerk an Partnern und Lizenznehmern in vielen Märkten eine Alleinstellung sichern. Jürgen Pfitzer und Helmut Nägele, die Gründer und Geschäftsführer von TECNARO, nehmen heute an Delegationen der Wirtschaft teil und werden weltweit als Experten für die Transformation von Kunststoffanwendungen nachgefragt.

 

Peak Plastic, oder: Nachhaltiger Wandel als Geschäftskonzept

Im Jahr 2022 erreichte der Anteil von zirkulären Kunststoffen, die aus biobasierten und recycelten Rohstoffen hergestellt werden, mit einer globalen Produktionsmenge von 37,8 Mio. Tonnen, einen neuen Rekordwert. Nach mehreren Jahren überproportionalen Wachstums dieses Segments scheint sich damit der Wandel der Kunststoffindustrie weltweit anzubahnen. Vor allem die Nachfrage in Asien wächst, wo derzeit rund 80 Prozent des weltweit verwendeten Kunststoffs hergestellt werden, aber auch die Folgen der Plastikflut immer mehr spürbar werden. Für TECNARO ergeben sich daraus gewaltige Skalierungsmöglichkeiten durch Beratung, Partnerschaften und Lizensierungen an den Brennpunkten der Plastikproduktion. Viel wichtiger ist den Gründern aber nach wie vor die Vision, mit der sie vor über 26 Jahren antraten: Mit Know-how aus der Fraunhofer-Forschung, Leidenschaft und Unternehmertum ein globales Problem zu lösen.