Wie Spin-offs aus der Forschung den Wachstumsmarkt Life-Science erschließen können
Der Bereich Life-Science gilt als einer der spannendsten Wachstumsmärkte der Zukunft. Anwendungen und Technologien aus diesem Bereich sind auch Forschungsschwerpunkt vieler Fraunhofer-Institute. Die Nähe zur Forschung macht Spin-offs aus der Wissenschaft zu prädestinierten Katalysatoren für die Markteinführung von Life-Science-Anwendungen. Wir sprachen mit Dr. Angelika Vlachou, Partnerin und Life-Science-Expertin beim High-Tech-Gründerfonds (HTGF), über die besonderen Perspektiven für Spin-offs aus der Forschung in diesem Segment.
Angelika, du bist Partnerin beim HTGF und Expertin für den Bereich Life-Science. Worin besteht deine Tätigkeit genau?
Ich bin promovierte Biologin und habe selbst im Bereich Virologie geforscht. Seit über zehn Jahren arbeite ich im Bereich Venture Capital und Portfolio-Management mit Life-Science-Start-ups, zunächst für die VC-Gesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt, später für Brandenburg Kapital, der VC-Gesellschaft des Landes Brandenburg. Mit dem HTGF hatte ich in dieser Zeit immer wieder Kontakt auf Veranstaltungen oder in gemeinsamen Projekten. Als die Berliner Dependance des HTGF vor zweieinhalb Jahren ihren Fokus um Life-Science erweitert hat, habe ich den weiteren Aufbau dieses Segments übernommen. Heute arbeiten wir deutschlandweit mit rund 150 Start-ups in dem Bereich zusammen, nicht wenige mit Verbindungen zur Fraunhofer-Forschung.
Was können speziell Ausgründungen aus der Forschung für den Fortschritt im Bereich Life-Sciences beitragen?
Die meisten Innovationen im Bereich Life-Sciences entstehen auf Basis von Forschung und das wird auch so bleiben. Forschung leistet hier die Pionierarbeit, sowohl was unser Verständnis medizinischer Zusammenhänge anbelangt wie auch zu möglichen Therapieformen. Allerdings stößt die Wissenschaft schnell an Grenzen, wenn es um die wirtschaftliche Erschließung dieses Potenzials geht. Die organisatorischen Strukturen vieler Institute sind für Forschung optimiert. Die Entwicklung von Geschäftsmodellen, die Akquirierung von Kapital, die klinische Entwicklung oder gar die Markeinführung einer neuartigen Therapie benötigt aber ein anderes organisatorisches Umfeld. Spin-offs aus der Wissenschaft können hier wie agile Innovationslabore fungieren: Sie bieten optimale Voraussetzungen für den Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die unternehmerische Praxis, weil sie in der Forschung verankert sind, aber permanent an Chancen und Wegen für die Verwertung arbeiten. Beim so genannten Market-Fit, also der Validierung der realen Marktchancen einer Anwendung, erreichen Start-ups mit ihren schlanken Strukturen eine hohe Schlagzahl. Für erfolgreiche Innovationen im Bereich Life-Science müssen wir aber über den Tellerrand klassischer Strukturen hinausdenken: Die Entwicklung neuer Wirkstoffe ist komplex und verlangt einen sehr langen Atem. Biontech beispielsweise ist aus dem Zusammenspiel von exzellenter Forschung, Kompetenzen und Strukturen aus der medizinischen Forschung, Partnern auf Industrieseite, ausreichend Kapital und dem Unternehmergeist der Gründer entstanden. Für viele Spin-offs dürfte die Netzwerkfähigkeit deshalb zu einer Schlüsselkompetenz für die Zukunft werden. Wir beim HTGF setzen deshalb auch auf unser vielfältiges Netzwerk im Bereich Life-Science.
Die Erfolgsformel für die Skalierung von Innovationen im Bereich Life-Science liegt also im Aufbau von Ökosystemen?
Oder im Nutzen von bestehenden Kontakten von Organisationen wie Fraunhofer Venture oder dem HTGF. In jedem Fall entstehen Innovationen heute nicht mehr im Silo. Junge, ehrgeizige Tech-Unternehmen können ihre eigenen Stärken viel besser, schneller und wirkungsmächtiger durch Kooperation mit den richtigen Partnern ausspielen. Wenn man als Gründerin oder Gründer Technologien schnell in Richtung Marktreife entwickeln und skalieren will, ist es viel effizienter, Ressourcen zu organisieren und einzubinden, als selbst alles im eigenen Haus aufzubauen. Zeit ist bei neuen Therapien einfach extrem erfolgskritisch insbesondere, wenn es Wettbewerb gibt und Patentexklusivitäten laufen. Gute Arbeitsteilung bringt dabei am Ende alle Beteiligten weiter. Wir arbeiten hier als Türöffner und Wegbereiter für Start-ups und helfen dabei, dass beispielsweise vielversprechende Anwendungen schneller unter Realbedingungen getestet werden können oder unterstützen dabei, weitere Investoren an Bord zu holen.
Wo siehst du denn jetzt gerade die interessanten Wachstumsfelder für die nächsten Jahre im Bereich Life-Science?
Das spannende an meinem Beruf ist, dass man von Forschenden und Entrepreneuren immer wieder überrascht wird, wo Innovationen möglich sein können und wie sich Zukunftsmärkte erschließen lassen. Klar ist: Die meisten Segmente aus dem Bereich Gesundheit allgemein dürften in den kommenden Jahren schon aufgrund der demografischen Veränderungen stark wachsen. Als Wachstumsfelder gelten Precision Medicine, vor allem die Individualisierung von Diagnostik und Therapieformen und genaue Abstimmung auf den individuellen Patienten, die Datafizierung medizinischer Anwendungen, der ganze Bereich der Zell- und Gentherapien, neuartige Diagnostik, beispielsweise verbesserte Detektoren der Ursachen mittels Bildgebung oder auf molekularer Ebene, um nur einige zu nennen. Wir sollten allerdings Ausgründungen nicht mit der abstrakten Brille möglicher Zukunftsmärkte bewerten. Erfolgsentscheidend sind vor allem der individuelle Ansatz eines Start-ups, die Innovationskraft des Gründerteams oder die besondere Technologie aber auch der Unternehmergeist und ausreichend Kapital.
Wie könnte man deiner Meinung nach die Zahl der Ausgründungen aus der Wissenschaft weiter steigern?
Die Qualität der Forschung und das industrielle Umfeld sind im Bereich Life-Science auch für Start-ups hervorragende Standortvorteile. Darauf kann man aufbauen. Bei der Transferkultur haben wir meines Erachtens noch unerschlossenes Potenzial. Es fehlt definitiv nicht an guten Ideen und herausragenden Kompetenzen in der Forschung, aber Ausgründungen und auch das Verwertbarkeitsdenken sind immer noch etwas exotisch und noch zu wenig Teil unserer Wissenschaftskultur. Gerade der Life-Science-Bereich ist für Ausgründungen aus der Forschung und Kooperationen zwischen Start-ups und Instituten prädestiniert.
Wir brauchen auch mehr Realismus und Routine beim Umgang mit Chancen und Risiken bei Ausgründungen. Hier könnte die Forschung sogar Vorbild sein: Bei Experimenten ist auch ungewiss, ob und unter welchen Bedingungen eine Hypothese verifiziert werden kann und man findet es durch Ausprobieren heraus. Mit dieser Mentalität müssen wir auch an Ausgründungen heran gehen: Ein Geschäftsmodell oder eine Therapieform kann sich als nicht wirksam erweisen und muss angepasst oder sogar eingestellt werden. Das ist aber kein »Scheitern«, sondern Normalität in Innovationsprozessen. Unser Ziel sollte es sein, so routiniert mit einem Portfolio an Ausgründungen umzugehen, dass auch Ansätze, die nicht weiterverfolgt werden, Erkenntniswert für die Forschung bringen und im Geschäftsmodell von Forschungsorganisationen oder Instituten eingepreist sind. Die Bilanz muss am Ende stimmen, nicht vorab.
Angelika, vielen Dank für deine Expertise, die klaren Worte und spannenden Perspektiven für die Zukunft von Ausgründungen im Bereich Life-Science. Wir freuen uns auf die weitere Arbeit mit euch!