Interview Prof. Thomas Bauernhansl: »Wir wollen vom Forschungs- zum Gründerinstitut werden«
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart besetzt mit durchschnittlich 4,75 Ausgründungen pro 1000 Mitarbeitende europaweit eine Spitzenposition bei Technologietransfer durch Spin-offs aus der Forschung (Zeitraum 2019, 2020, 2021). Wir sprachen mit dem Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Thomas Bauernhansl über die Transferstrategie des Instituts und über Ausgründungen von Start-ups auf Basis von Fraunhofer-Technologie als Möglichkeit, Talente für die Forschung zu gewinnen.
Herr Professor Bauernhansl, das Fraunhofer IPA gehört europaweit zu den führenden Forschungseinrichtungen bei Ausgründungen. Was macht Ihr Institut so erfolgreich?
Unser wichtigster Erfolgsfaktor, sowohl in der Forschung als auch im Technologietransfer und bei Gründungen, sind unsere Forschenden, ihre Kompetenz und Motivation. Forschergeist und Unternehmergeist haben vieles gemeinsam und unsere Teams stecken voller Energie und Begeisterung. Am IPA wollen wir dieses Potential nutzen und ihnen aktiv viele Wege der persönlichen Entwicklung ebnen.
Das heißt für uns konkret: Wir müssen die Perspektive der möglichen Anwender und der Kapitalgeber in der Industrie bereits bei der Konzeption unserer Forschung mitdenken. Wir müssen uns auch in der Forschung unternehmerische Fragen stellen, wie: Welche realen Probleme können wir mit unserer Technologie im Wettbewerb für welche Zielgruppen lösen? Sind unsere Forschungsergebnisse industriell skalierbar? Erfüllen wir die harten Anforderungen von Investoren? Wenn man für eine Technologie Antworten auf diese Fragen findet, sind Ausgründungen oder Industriepartnerschaften logische nächste Schritte für das Institut und für die Menschen, die hier arbeiten.
Am IPA bieten Sie also Ausgründungen als »Karriereweg« an? Schneidet man sich damit als Institut nicht ins eigene Fleisch im Kampf um Köpfe und Talente?
Im Gegenteil. Viele interessante junge Talente entscheiden sich nicht gegen eine Karriere in der Industrie, wenn sie bei uns anfangen, sondern sie wollen sich bei Schlüsselqualifikationen für ihren weiteren Weg aneignen, unabhängig davon, wohin der sie führt. Lebenslange Karrieren innerhalb einer einzigen Organisation gehören - zumindest für viele Jüngere - mittlerweile statistisch der Vergangenheit an. Wir müssen mit dieser Realität arbeiten, nicht gegen sie, wenn wir begabte junge Absolventen und Absolventinnen für uns gewinnen und halten wollen.
Viele vielversprechende, junge Forscherpersönlichkeiten haben ein unternehmerisches Mindset. Die Möglichkeit der Gründung eines eigenen Start-ups mit unserer Unterstützung und auf Basis von Fraunhofer-Technologie macht uns als Arbeitgeberin interessanter. Viele haben sich deshalb bewusst für uns entschieden - wir haben also mit unserer proaktiven Ausgründungspolitik sogar Talente hinzugewinnen können.
Trotzdem müssen Sie mit dem Verlust von Expertise umgehen.
Auch hier würde ich widersprechen. Unsere Erfahrung nach mittlerweile über 30 Ausgründungen zeigt, dass ein Technologie-Spin-off Expertenpersönlichkeiten sogar an Fraunhofer binden kann, weil ausgegründete Start-ups in vielfältiger Weise mit dem Institut verbunden bleiben, beispielsweise über Forschungsaufträge, Lizenzbeziehungen und anderes. Mit Ausgründungen bieten wir quasi den Karriereschritt ins Unternehmertum innerhalb unseres eigenen Ökosystems an und schaffen neue, praxisnahe Verbindungen für das Institut und die Gründenden.
Einige Gründer und Gründerinnen kehren sogar nach erfolgreichem Exit zu uns zurück oder gründen nach einiger Zeit in der Forschung erneut aus. Als Institut profitieren wir dabei mehrfach: Wir verwerten, veredeln und skalieren Technologie, die für unser Institut kein weiteres Forschungspotential bietet oder neu zu strukturieren ist, und sorgen so für Rendite und Rückflüsse durch unsere Forschungsergebnisse. Gleichzeitig holen wir uns unternehmerisch denkende Persönlichkeiten als »Role Models« für unsere Forschenden und Intrapreneure wieder ans Institut.
Sie nannten Skalierbarkeit als einen wesentlichen Erfolgsfaktor für Ausgründungen und Technologietransfer. Wie setzt das Fraunhofer IPA das um?
Ich bin Mitglied eines Investment Committees des High-Tech Gründerfonds und war vor meiner Tätigkeit für Fraunhofer unter anderem selbst Geschäftsführer in einem Technologiekonzern. Von daher weiß ich: Das Potenzial zur Skalierung entscheidet darüber, welcher Transferpfad für eine Technologie optimal ist, wie das Geschäftsmodell konzipiert werden muss und welche »Rendite« das Institut als IP-Quelle durch eine Ausgründung erwarten kann. Außerdem gestalten unsere Gründerteams mit einem wirksamen, skalierbaren Geschäftsmodell ihre eigene Perspektive als potenzielle Unternehmerinnen und Unternehmer. Deshalb entwickeln wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt nutzenzentrierte Skalierungsszenarien, die mit der Projekt- und Technologierreife mitwachsen und Kapitalmarktkriterien erfüllen.
Wie verankern Sie dieses unternehmerische Denken in der Institutskultur? Und wie nehmen Sie dafür die Unterstützung von Fraunhofer Venture in Anspruch?
Als ich 2011 für Fraunhofer tätig wurde, waren Ausgründungen eher geduldet als gewünscht und die Forschung orientierte sich fast ausschließlich an öffentlichen Fördermöglichkeiten und IP-Vermarktung bei etablierten Unternehmen. Beides hat Vorteile, aber auch klare Limitierungen. Für viele Zukunftstechnologien lassen sich beispielswese nur schwer Partner finden, weil sie den bestehenden Systemen weit voraus oder nicht mit ihnen kompatibel sind.
Heute haben wir einen anderen Anspruch an uns: Wir wollen Wissenschaft und Entrepreneurship miteinander verbinden und ein erfolgreiches Forschungsinstitut bleiben, aber langfristig auch zum Gründerinstitut werden.
Ich sehe unser Institut zwar noch nicht in allen Technologiefeldern, aber auf allen Ebenen sehr gut dafür aufgestellt. Für viele am IPA sind unsere Workshops, der intensive Austausch mit den Betreuer-Tandem von Fraunhofer Venture oder das Transferförderprogramm AHEAD Teil der eigenen strategischen Ausrichtung und Bestandteil der Institutskultur. Unsere Organisation lässt unternehmerische Ansätze nicht nur zu, sondern fördert sie aktiv – weil sie von dem Momentum der Gründerteams profitiert.
In der Institutsleitung versuchen wir, unternehmerische Initiativen auch selbst zu leben, beispielsweise indem wir Mandate für unsere Spin-offs annehmen, persönlich coachen und auch bereit sind, mit ins Risiko zu gehen, wenn nötig. Wenn wir Gründergeist bei Fraunhofer entfachen wollen, müssen wir ihn auch vorleben. Ich würde mir zum Beispiel auch wünschen, dass sich die Fraunhofer-Gesellschaft grundsätzlich an vielversprechenden Start-ups auf Basis von Fraunhofer-Technologie als Erstinvestorin beteiligt.
Das nehmen wir für den Moment als Schlusswort. Vielen Dank Herr Professor Bauernhansl, für Ihre Zeit, unser Gespräch und die Inspiration!
Weitere Informationen
- Über Prof. Dr. Thomas Bauernhansl (ipa.fraunhofer.de)
- Über das Fraunhofer IPA (ipa.fraunhofer.de)