Der Nebel lichtet sich: Methodenentwicklung und Meilensteine in 20 Jahren Fraunhofer Venture

»Was ihr da macht, ist eigentlich gar nicht denkbar«, raunte ein altgedienter Verwaltungsjurist nachdem das junge Team von Fraunhofer Venture erste Ideen und Konzepte für eine Ausgründungsstrategie vorgestellt hatte. In den 20 Jahren seit unserer eigenen Gründung konnten wir mit immer mehr Unterstützern innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft, engagierten und pragmatischen Partnern in der deutschen Verwaltung, vielen Begeisterten aus der Wirtschaft und vor allem unseren großartigen Gründern und Gründerinnen den Beweis antreten, dass das »Undenkbare« Wirklichkeit werden kann, wenn viele kluge Köpfe eine gemeinsame Mission vorantreiben.

© Fraunhofer Venture
Zusammen mit vielen Unterstützern wurden in den letzten 20 Jahren viele Methoden und Leitlinien entworfen und diskutiert.

Diese Mission fand in den Anfangsjahren von Fraunhofer Venture in einer rechtlich noch unbekannten Zone statt, in einem nebulösen Niemandsland zwischen strikten Rahmenbedingungen und der innovativen Interpretation rechtlicher Möglichkeiten für den Transfer von Forschungsergebnissen über Ausgründungen. Die damalige und bis heute aus manchen Köpfen nicht zu verbannende »Venture-Gruppe« hatte etwas Konspiratives, Unbekanntes, und wurde in der Post schon mal mit »Wend-Schur-Gruppe« adressiert. Heute hat sich der Nebel gelichtet, die unbekannte Zone ist klarer und vielfältig geworden, sowohl was die Möglichkeiten des Technologietransfers angeht, als auch bei unseren Methoden.

Der Erfolg unserer Mission in der Grauzone mit heute über 500 Ausgründungen ist das Ergebnis von Pioniergeist in einem großen Netzwerk: Von Menschen, die bereit waren, für uns die Extrameile in der juristischen Prüfung zu gehen und durch ihr Engagement aus dem »gibt es nicht« der ersten Prüfung ein »so könnte es gehen« zu machen. Von Vorständen, Institutsleitungen, Mitarbeitenden in der Fraunhofer-Zentrale und vielen Expertinnen und Experten aus der Forschung, die mit uns Methoden »on the job« entwickelt haben und die Experimentierfreude und Hartnäckigkeit mitbrachten, die notwendig ist, wenn man neue Wege des Technologietransfers aus der Spitzenforschung finden will. Von den unzähligen Entrepreneuren, Management-Teams aus Start-ups und Unternehmen, die mit uns die Brücken in neue Märkte gebaut und immer wieder viele Hindernisse gemeinsam überwunden haben.

Diese menschliche Geschichte hinter den Kennzahlen und Prozessen möchten wir hier erzählen – weil dieser Initiativgeist und diese Mentalität die eigentliche Kraft hinter jeder erfolgreichen Ausgründung ist – und auch unser eigenes Team antreibt.

Damals schon Spitze: der erste Networkshop auf Deutschlands höchstem Berg

Pizza gab es keine auf dem ersten Networkshop von Fraunhofer Venture, dafür viel Weit- und immer mehr Durchblick: Die ersten Networkshops, die frühen Vorgänger der späteren Venture Days, fanden ab 2003 auf dem Schneefernerhaus im Zugspitzmassiv statt. Wir wollten damals schon hoch hinaus und wie sich während der Planung herausstellte, mussten wir dafür auch die Verpflegung selbst organisieren und transportieren. Ob Einkauf in München, Ausladen in Garmisch oder Verstauen im Schneefernerhaus: mehrmals übernahmen alle Mitarbeitende von Fraunhofer Venture die Großpackungen an Nudeln, Joghurt, Stiften und Flipchart-Papier und trugen sie durch die ungewohnte Höhenluft. Doch auch die mühselige Selbstversorgung hatte ihr Gutes: Gemeinsames Schleppen, Schnaufen und Schwitzen formt den Teamgeist mehr als gruppendynamische Lego-Spiele oder Marshmellow-Challenges.

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Selber kochen statt Catering - beim ersten Networkshops mussten unmengen von Lebensmittel auf das Schneeferner Haus transportiert werden

Wenn wir heute mit unseren Gründern und Gründerinnen, Kollegen und Kolleginnen von damals zurückblicken, sind es diese kleinen Erlebnisse und Abenteuer, die den Networkshops etwas Besonderes gaben und einen idealen Rahmen fürs gemeinsame Arbeiten, Netzwerken und Diskutieren schufen.

Mit damals 7 Mitarbeitenden, 21 Gründern und Gründerinnen sowie zahlreichen Unterstützern arbeiteten und lernten wir über dem Schneeferner-Gletscher durch Dialog, Feedback und auch durch Fehler. So wie wir feststellen mussten, dass mühsam herauf geschaffte Schoko-Küsse und Joghurt-Becher durch den Druckunterschied (fast) platzten und für das Nudelkochen über 2500 Metern einige physikalische Fallen zu umgehen waren, so arbeiteten wir uns auch durch die fachlichen Inhalte: Schritt für Schritt, immer im Austausch und stets bereit, zusammen mit den Entrepreneuren Herausforderungen zu meistern, Alternativen zu finden, wenn sich Ansätze als problematisch erweisen sollten und gerne auch unterschiedlichste Praxiserfahrungen auszutauschen. Am Ende unserer ersten Expedition am Zugspitzgletscher waren nach zahlreichen Workshops, Arbeitssessions und Diskussionen viele neue Ideen entstanden, nebenbei ein methodisches Grundgerüst für das individuelle Vorgehen und trotz mehrerer exotischer Menüs aus der Do-it-yourself-Küche von Fraunhofer Venture nur zufriedene Gesichter zu sehen.

Recht versus Betriebswirtschaft: Culture Clash als Innovationsquelle

Rechts- und Investment-Fachleute schienen oft an verschiedenen Enden des Tisches zu sitzen, sprichwörtlich, häufig de facto und auch während der Gründerzeit von Fraunhofer Venture. Auch in unserem damals noch kleinen Venture-Team prallten bisweilen zwei Denkweisen aufeinander, wenn wir gemeinsam an einem Tisch saßen. Zu ein- und demselben Ausgründungsprojekt wurden völlig unterschiedliche Akzente gesetzt und miteinander auf Deutsch und doch manchmal scheinbar in verschiedenen Sprachen kommuniziert. Entgegengesetzte Perspektiven können Teams spalten oder etwas Neues entstehen lassen, wenn beide Seiten ihre Komfortzone verlassen und bereit sind, einen gemeinsamen Weg zu suchen. Diese Richtungsentscheidung wurde in unserem Team intuitiv getroffen: Anfängliche Irritationen und Ärgernisse gingen relativ schnell unter im gemeinsamen Gelächter über kuriose Missverständnisse und die kleinen Realsatiren des Alltags – und schufen eine Teamkultur und ein Teamverständnis, das heute unsere vielleicht größte Stärke ist:

Anfangs arbeiteten Rechts- und Investment-Experten eng zusammen, sobald es situationsbedingt erforderlich war – heute, weil wir gemeinsam und mit unseren jeweils unterschiedlichen Perspektiven die definitiv besten Ergebnisse für unsere Gründerinnen und Gründer erzielen möchten. Venture-Experten arbeiten von Projektbeginn an in »Tandems« als kongeniales Berater-Duo, bei dem jedes Team den Gründern, Instituten oder Investoren alle relevanten Informationen aus einer Hand liefern kann. Wir denken die jeweils andere Perspektive intuitiv mit und tauschen uns informell aus. Viele Gründerinnen und Gründer wissen vermutlich heutzutage gar nicht mehr, ob sie gerade mit dem Juristen oder dem Investment-Manager sprechen, wenn sie uns anrufen. Mit dieser nach unserem Wissen relativ einmaligen Tandem-Konstellation können wir mit unseren Spin-off-Teams auch bei komplexen Herausforderungen sehr unkompliziert zusammenarbeiten und vor allem Lösungsräume aufzeigen, statt auf die Probleme zu fokussieren.

Sind damit alle Konflikte und unterschiedliche Sichtweisen zwischen den beiden Welten beseitigt? Natürlich nicht, aber wir wissen, dass uns gerade die Verschiedenheit stark macht und ein guter kritischer Diskurs bessere Lösungen hervorbringt.

20 Jahre Undenkbares: Wie hat sich unser Denken verändert?

Viele Menschen mit einer gemeinsamen Mission können viel bewegen. Auch unsere Abteilung ist Teil einer Mission, die von immer mehr Kolleginnen und Kollegen an den Instituten, in der Verwaltung oder in anderen Unternehmen mitgetragen und vorangerieben wird – und sie wirkt. Aus dem Niemandsland der unklaren Regularien für Ausgründungen ist ein strukturierter Innovationsraum geworden, der wachsende politische Aufmerksamkeit erfährt. Seit Ende 2001 gibt es eine offizielle BMBF-Leitlinie zur Beteiligung von Forschungseinrichtungen an Ausgründungen, die nicht nur zeigt, wie viel der Transfer aus der Forschung in die Wirtschaft frühzeitig an Bedeutung erlangt hat, sondern, dass sich auch unser Engagement und das vieler anderer auszahlt. Bei der Novellierung im Rahmen der Wissenschaftsfreiheitsinitiative in 2012 konnten wir aktiv mitwirken, mitgestalten und unsere Praxiserfahrungen als Best Practice einbringen. Ausgründungen werden als Chance wahrgenommen, die gefördert und honoriert werden muss.

Seit 2015 prämiert die Fraunhofer-Gesellschaft ihre Institute für Ausgründungen, weil der Transfer durch Tech-Start-ups auch die Perspektiven der Wissenschaft bereichern und vervielfältigen kann. Spin-offs sind ein Gewinn an Möglichkeiten geworden, nicht mehr ein Verlust an Expertise oder Personal. Natürlich hat sich auch für und mit den Fraunhofer-Instituten viel verändert: Die Zahlen zeigen, dass sich Ausgründungen als Transferpfad etabliert haben und in Zukunft sicher noch zunehmen werden. Viel wichtiger ist unserer Ansicht jedoch der Kulturwandel, der hinter den mehr als 500 Fraunhofer-Ausgründungen wirkt: Viele Institute arbeiten mit uns inzwischen regelmäßig zusammen und nutzen den Austausch, um nicht nur einzelne Ausgründungsprojekte zu unterstützen, sondern den Gründer- und Unternehmergeist unter ihren Forschenden zu etablieren. Einige sehen die Perspektive einer Ausgründung inzwischen sogar als interessantes Modell, um Entrepreneure aus ihren Zielmärkten als Mitarbeitende auf Zeit zu gewinnen und auf diese Weise die Forschung praxisnäher und transferorientierter auszurichten.

Und wir? Wie hat der Marsch durch die Institutionen, das Wachstum und permanente Lernen uns verändert? Auf den ersten Blick sehr viel: Unser Team, unser Netzwerk und unsere Aufgaben haben sich vergrößert und immer weiter professionalisiert. Auf den zweiten Blick vielleicht gar nicht so viel: Fraunhofer Venture war immer der Schritt ins Neuland und die agile Selbstveränderung, wenn die Umstände und besonderen Herausforderungen es erfordert haben. Nichts ist so beständig wie der Wandel – in diesem Sinne: Auf die nächsten 20 Jahre Venture, Veränderung und Abenteuer!

 

20 Jahre Fraunhofer Venture - Der Weg vom »internen Start-up« zur »Venture Gruppe«

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