Technologieverwertung über strategische Ausgründungen am Fraunhofer ISE
Interview mit Dr. Andreas Bett
Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE gilt als Pionier für Ausgründungen aus der Wissenschaft und hat in den vergangenen Jahren viele erfolgreiche Tech-Startups hervorgebracht. Spin-offs aus der Forschung sind am ISE nicht nur Verwertungen für bestehende Technologien, sondern bilden strategische Brückenköpfe für zukünftiges Industriegeschäft. Wir sprachen dazu mit Dr. Andreas Bett, der das Institut zusammen mit Prof. Hans-Martin Henning leitet.
Herr Dr. Bett, welche Rolle spielen Ausgründungen in der Strategie Ihres Instituts?
Eine Schlüsselrolle, weil Ausgründungen unsere Vision des angewandten Forschens perfekt ergänzen können: Die angewandte Forschung entwickelt ja auch Problemlösungen für die Zukunft, für die die Unternehmen heute manchmal noch gar nicht bereit sind. Mit Ausgründungen können wir diese Lücke schließen, indem wir Technologien selber marktfähig machen und den Unternehmen als ausgereifte Use Cases zur Verfügung stellen oder selbst mit Spin-offs technologisches Neuland erobern. Mindestens genauso wichtig wie dieser attraktive Verwertungsweg ist für uns aber die Lernkurve für unsere Forscher: „Unsere“ Startups können Technologien sehr schnell und agil testen und marktnah weiterentwickeln. Von dieser Agilität und dem unmittelbaren Feedback aus der praktischen Anwendung profitieren wir als große Organisation wiederum bei unserer Forschung. Unser internes Ziel ist mindestens eine Ausgründung pro Jahr, wenn Markt und Technologie reif genug sind.
Wie ermöglichen Sie Ihren Wissenschaftlern eine Ausgründung?
Für uns ist vor allem eine gründungsfreundliche Kultur am Institut wichtig: Unsere Wissenschaftler wissen, dass wir Verwertungsideen, unternehmerisches Denken und Ausgründungen unterstützen und dass wir bereit sind, für ein gutes Geschäftskonzept auch selbst mit ins Risiko zu gehen. Mit rund einem Dutzend erfolgreicher Ausgründungen in den letzten Jahren haben wir auch die nötige Erfahrung, um die Chancen und Risiken einzuschätzen und mit den Partnern für Technologietransfer bei Fraunhofer jeweils individuelle Modelle zu entwickeln. Wenn ich insgesamt Bilanz zu unseren Ausgründungen ziehe, hat sich das Risiko in jedem einzelnen Fall ausgezahlt – nicht immer wie geplant, weil sich eine Gründung am Markt nicht planen lässt wie ein Versuch im Labor, aber immer mit wesentlichen Vorteilen für das Institut und manchmal sogar mit einem lukrativen Exit, von dem auch wir als Institut profitiert haben.
Braindrain oder Braingain: Haben Sie keine Sorge, dass sich vielversprechende Forscher aus dem Institut heraus gründen?
Nein, weil dieser Technologie- und Kompetenztransfer ein Teil der langfristigen strategischen Entwicklung unseres Instituts ist. Wir sollten bei dieser Frage nicht so sehr auf die kurzfristige Ausgründung von Köpfen und Technologien schauen, sondern auf den mittelfristigen Gewinn für das Institut. Mit jedem erfolgreichen Spin-off gewinnen wir an Anwendungskompetenz, an Rückflüssen für unser Investment und vor allem bei unserer eigenen Positionierung in der Industrie, was uns wiederum neue Möglichkeiten für Kooperationen verschafft. Außerdem werden viele unserer Start-ups selbst von Ausgründungen zu Partnern oder sogar zu neuen Kunden. Ausgründungen können so sogar ein Weg sein, Köpfe und Kompetenzen langfristig an das Institut zu binden, weil wir so die Beziehung zu unseren Entrepreneuren aufrechterhalten können.
Wie motivieren Sie Ihre Abteilungsleiter Ausgründungen in Ihrem Team zu fördern?
Ich verstehe gut, wenn manche Abteilungsleiter bei Entscheidungen für eine Ausgründung zwiegespalten sind, aber genau dieses Dilemma kann das Konzept für eine gute Ausgründung lösen. Fraunhofer-Technologien haben so viel Potenzial, dass ein Spin-off aus der Forschung eine wirkliche Win-Win-Situation für das Institut, die Abteilungen und für die Gründer sein kann. Die Spin-offs am Fraunhofer ISE haben durch die Forschungsnähe einen technologischen Vorsprung und durch die Anbindung an unsere Infrastruktur und den kontinuierlichen Austausch die Möglichkeit, die Vorteile eines agilen Startups mit der Deeptech-Expertise von Spitzenforschung zu verbinden. Diese Kombination aus Flexibilität, Geschwindigkeit und Forschungskompetenz macht Startups aus der Fraunhofer-Forschung für Gründer, Abteilungen und Institute gleichermaßen attraktiv. Wir sollten in Sachen Gründerpersönlichkeit auch realistisch sein: Wer eine Unternehmermentalität hat, der gründet auch irgendwann oder wird abgeworben – und wenn wir eine Gründung selbst fördern und ermöglichen, dann gründet er oder sie mit uns.
Ihr Ausblick auf die Zukunft: Wie sollen sich Ausgründungen aus der Forschung an Ihrem Institut langfristig entwickeln?
Wir sehen schon jetzt, dass Ausgründungen ein Zukunftsmodell neben anderen bilden werden. Auch die Forschung muss mittelfristig mehr im Ökosystem arbeiten und Startups sind hier wichtige Brückenköpfe bei kollaborativen Entwicklungen. Gründer aus unserem Institut arbeiten forschungsnah, auf gleichem Kompetenzniveau und mit einer gewachsenen Vertrauensbasis. Mit Ausgründungen haben wir keine Reibungsverluste bei Kooperationen, aber sehr viele Synergien. Diese Netzwerkfähigkeit ist eine Bedingung für die technologischen Innovationen der Zukunft. Deshalb setzen wir auch auf die Zusammenarbeit mit Fraunhofer Venture bei der Entwicklung von Ausgründungsmodellen und auf den neu gegründeten Fraunhofer-Technologie-Transfer Fonds (FTTF), der Seed-Finanzierungen von Deeptech-Gründungen wesentlich erleichtern wird.
Herr Dr. Bett, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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